8.12.06

Ausgedachte Skandale

Der FC Carl Zeiss Jena ist ja im Sommer in die zweite Bundesliga aufgestiegen und kämpft dort – wie erwartet – um den Klassenerhalt. Das heißt, Siege sind selten geworden. Der Verein gehört zu den kleinen der Liga, den underdogs .. Da ist es natürlich besonders bitter für große ehemalige Erstligisten mit Aufstiegsambitionen wenn sie gegen so einen no-name-Verein verlieren. Besonders bitter scheint aber eine Niederlage im Osten zu sein … besonders wenn man sie aus der Ferne erlebt, wie der Autor dieses Artikels des Freiburger Sonntags. Ein unbekannter Informant berichtete ihm von rassisitischen Ausschreitungen, die ausser ihm niemand bemerkte, das große Antirassismusbanner auf der Gegengeraden hat er wohl ünersehen.
Klischees müssen bedient werden, was schert uns da die Wahrheit …
Einen offenen Brief als Antwort schrieben daraufhin der FCC , der Supporters Club und das Jenaer Fanprojekt

Die Thüringer Landeszeitung beleuchtet in einem Artikel Fiktion und Wahrheit

Nachfolgend ein offener Brief im Namen des FC Carl Zeiss Jena, des Fanprojektes und des SupportersClubs als Reaktion auf den Artikel im Freiburger “Der Sonntag”.

Der FC Carl Zeiss Jena e.V. sieht sich zu dieser Form der Kommunikation gezwungen, da dem Verein und dessen Ansehen erheblicher Schaden zugefügt wurde. Auf Grund der undifferenzierten „Berichterstattung“ erhalten wir seit dem Erscheinen des Kommentars in „Der Sonntag“ unzählige Emails und Reaktionen, die den FC Carl Zeiss Jena als ausländerfeindlich und rassistisch verunglimpfen.

Der Autor des Kommentars, der mir gegenüber seinen Fehler eingestand und zugab, selbst gar nicht vor Ort gewesen zu sein, hat hiermit ein Bild des FCC gezeichnet, das in keiner Weise der Toleranz, Leidenschaft und Fairness der Jenaer Fanszene entspricht.

Hier ist der Punkt erreicht, wo wir uns wehren und uns vor unsere treuen Fans stellen müssen.

Mit besten Grüßen
Andreas Trautmann
Pressesprecher/Medienbeauftragter

Offener Brief
Am 10. April 2006 schrieb die linke Tageszeitung „junge welt“ zum Regionalligaspiel FC Carl Zeiss Jena gegen FC St. Pauli: „Gut 1.000 Hamburger Fans (…) begleiteten ihre Kicker nach Jena, obwohl Pauli-Präsident Corny Littmann seine Angst vor neuerlichen Nazi-Provokationen bekundet hatte. Letzte Woche kam es im Heimspiel gegen Chemnitz zu Ausschreitungen. Aber Jena ist nicht Chemnitz, die Provokationen blieben aus. Littmanns Mauer im Kopf dagegen, die wird wohl bleiben.“ „Sonntag“-Redakteur Toni Nachbar geht allerdings in seinem „Standpunkt“ in der Ausgabe vom 26.11.2006 noch einen Schritt weiter als der Kiez-Präsident. Die Mauer im Kopf wird noch um die einst üblichen Minen und Selbstschussanlagen komplettiert und eine verleumderische Stimmungsmache gegen „Ostdeutsche“ im Allgemeinen und den FC Carl Zeiss Jena und seine Fans im Besonderen vom Stapel gelassen. Elementare Grundwerte des deutschen Pressekodex werden dabei mit Füßen getreten, indem Unwahrheiten und nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfte Behauptungen ebenso verbreitet werden wie unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen ehrverletzender Natur.
Reduziert um alle diese Elemente bleibt von dem „Standpunkt“ an Substanz nur übrig, dass das Spiel Jena gegen Freiburg durch einen umstrittenen Elfmeter entschieden wurde und sich im Spielverlauf ein Foulspiel am SCF-Spieler Pitroipa ereignete. Offensichtlich war es jedoch nicht die Absicht des Autors, seriös über ein Fußballspiel zu berichten bzw. dessen Atmosphäre zu kommentieren.
Das Tendenziöse des Beitrags beginnt schon in der Überschrift „Ostdeutsche, Afrikaner und der DFB“. „Den“ Ostdeutschen gibt es bekanntlich genauso wenig wie „den“ Westdeutschen, wobei schon diese Begrifflichkeiten 17 Jahre nach dem Mauerfall endlich in der Mottenkiste verschwinden sollten. Ob im Dress des SC Freiburg Afrikaner, Asiaten, Eskimos, Deutsche oder Marsmännchen spielen, ist den Fans des FC Carl Zeiss Jena – mit Ausnahme der letzteren vielleicht – herzlich egal. Die Überschrift soll aber offenkundig suggerieren, dass Jenaer als „Ostdeutsche“ dem Anschein nach Probleme mit Afrikanern hätten. Nun dürfte sich, und das geht aus dem Kommentar ja auch durchaus ansatzweise hervor, selbst bis in den Breisgau herumgesprochen haben, dass die Stadt Jena im Freistaat Thüringen liegt. Laut der unlängst veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist die Ausländerfeindlichkeit in Thüringen die niedrigste von allen neuen Bundesländern und liegt ca. 5 % unter dem Bundesdurchschnitt. Um es noch deutlicher auszudrücken: im Vergleich zu Thüringen ist die Ausländerfeindlichkeit im Freistaat Bayern fast doppelt so hoch.
Was ist denn nun „den Breisgauern in Thüringen widerfahren“, außer dass ein Spiel bei einem gegen den Abstieg kämpfenden Aufsteiger, in dem man sich schon als sicherer Sieger wähnte, auch aufgrund einer umstrittenen Schiedsrichterentscheidung noch verloren wurde? Was ist es denn, „was diese Woche so peu á peu durchsickerte“ und so „erheblich schlimmer und bedenklicher“ als ein zweifelhafter Elfmeterpfiff war?
Die Tatsache, dass der Fanbeauftragte des FC Carl Zeiss Jena und ein Mitarbeiter des unabhängigen Fan-Projektes ca. 20 min vor Spielbeginn in einem live auf „Heimspiel-TV“ über die Anzeigetafel, die Monitore im Presse- und VIP-Bereich sowie über die Lautsprecheranlage des Stadions übertragenen Interview betonten, dass die Jenaer Fanszene sich aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus engagiert, wofür es vom bereits gut gefüllten Stadion heftigen Applaus gab?
Die Tatsache dass während der gesamten Spielzeit vor dem Jenaer Fanblock auf der Gegengerade des Stadions ein von den Jenaer Ultras angefertigtes über 3 Blöcke reichendes Anti-Rassismus-Transparent hing?
Die Tatsache, dass es während des gesamten Spiels mit Ausnahme von „Finke raus!“-Rufen als Reaktion auf heftiges Gestikulieren und Reklamieren des Gästetrainers keinerlei Gesänge oder Sprechchöre gegen den SC Freiburg, seine Spieler oder so genannte „Wessies“ allgemein (Das aus manchen Stadien durchaus bekannte „Wessi-Schweine“ gehört in Jena erfreulicherweise schon seit Jahren nicht mehr zum Stadionrepertoire.) ertönten, sondern leidenschaftlich und lautstark die eigene Mannschaft angefeuert wurde?
Wir wissen es nicht. Konzentrieren wir uns also auf die Ausführungen des Autors.
Behauptungen über angebliche Vorfälle zu „Beginn der 90er Jahre“ müssen hier schlicht als unwahr zurückgewiesen werden. Damals, im Herbst 1991, gab es in einem ähnlich leidenschaftlich umkämpften Spiel einen 4:3-Erfolg für die Jenaer Farben, und der einzige Freiburger, der damals schon dabei war, dürfte wohl Volker Finke selbst sein.
Eine „Menge“, eine Menschenmenge also, bildet sich hinter der Jenaer Haupttribüne nach jedem Spiel. Es bietet sich nämlich ob der relativ frühen Anfangs- und damit auch Schlusszeiten der Spiele geradezu an, noch bei einem Bier und/oder einer Wurst im Stadion zu verweilen und die Liveübertragung der Pressekonferenz zu verfolgen. Ja, und „aufgebracht“ waren auch nicht wenige Personen in dieser Menge, als sie einige provozierende Statements von Volker Finke, u.a. über mangelnde Fankultur, zu hören bekamen. Eine „aufgebrachte Menge“, vor der die Freiburger „zu schützen“ gewesen wären, entspringt jedoch der Phantasie des Autors oder aber dessen Informanten, denn selbst anwesend war der Herr Nachbar nicht, dies hat er bereits eingeräumt. Tatsächlich wurden einige Äußerungen des Gästetrainers von dieser Menge mit Verbalinjurien quittiert.
Dies ist nicht nett, nicht schön, soll aber im Fußballstadion durchaus (noch) vorkommen und hat mit Rassismus definitiv nichts zu tun. Die behauptete Parole „Ertränkt die Schwarzen in der Saale“ hat außer dem Autor bzw. dessen Informanten niemand gehört, weil sie schlichtweg nicht gefallen ist und beim Jenaer Fußballpublikum eben auch nie konsensfähig wäre. Selbstverständlich muss man bei knapp 22% Ausländerfeindlichkeit in der Thüringer Bevölkerung (s.o.) auch mit einem gewissen Prozentsatz dieser Einstellung unter den Stadionbesuchern leben, aber die von Herrn Finke kritisierte Jenaer Fankultur besteht eben darin, dass derartige Äußerungen im Jenaer Stadion nicht durchsetzungsfähig sind und bei entsprechenden Versuchen sofort auf Zivilcourage und Gegenwehr treffen würden. Einen solch ungeheuerliche Behauptung, wenn auch mit der Einschränkung „soll (…) gegrölt worden sein“, unüberprüft zu verbreiten, spricht jeder journalistischen Sorgfaltspflicht Hohn.
Der erwähnte unsaubere Zweikampf nach einem Laufduell, in dessen Ausgang der Stürmer Pitroipa in einer Werbebande landete, fand durchaus statt. Es gab hierfür auch durchaus Beifall von den Rängen, ob dies nun gleich „Jubelstürme“ waren, ist sicherlich vom Standpunkt des Betrachters abhängig. Es ist jedoch unredlich, diese Zuschauerreaktion mit der afrikanischen Herkunft des Gefoulten zu verknüpfen. Der Beifall galt vielmehr dem – sicherlich an dieser Stelle etwas überzogenen – kämpferischen Einsatz des Abwehrspielers, keine Woche nach der 1:5-Niederlage von Aue, bei der die Jenaer Mannschaft aus Sicht der Fans eben kämpferische Tugenden vermissen ließ, und wäre genauso gekommen, wenn der Gefoulte (um einmal schön bei den bemühten Klischees zu bleiben) blond und blauäugig gewesen wäre.
Selbstverständlich entspricht es auch nicht den Tatsachen, dass im Umfeld des FC Carl Zeiss Jena bzw. der lokalen Presselandschaft „Aggressionen gegen die ‚Wessies’“ geschürt worden wären. Das noch dazu verfälscht wiedergegebene und aus dem Zusammenhang gerissene Zitat bezog sich in keiner Weise auf den SC Freiburg und seine Spieler, sondern es wurde von der Heimmannschaft eine kämpferische Einstellung im Ringen um den Klassenerhalt gefordert.
Von einem „Skandal von Jena“ kann also keine Rede sein, skandalös ist lediglich der „Standpunkt“ des Herrn Nachbar, dessen „Augenzeugen“ uns brennend interessieren würden.
Schließlich gar von „politisch motiviertem Wegschauen und –hören“ sowie „rassistischen Urständen in Jena“ zu schreiben, ist schlicht und ergreifend auf die Verletzung der Straftatbestände der üblen Nachrede (§ 186 StGB) bzw. Verleumdung (§ 187 StGB) zu prüfen und gehört (neben weiteren Passagen des Textes) wegen Verstoßes gegen den deutschen Pressekodex vor den Presserat.
Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

• Der FC Carl Zeiss Jena e.V. nimmt Probleme von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus wie auch Gewalt sehr ernst. Hierbei erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit dem seit 15 Jahren erfolgreich tätigen unabhängigen Fan-Projekt sowie der Vereins-Fanabteilung „Supporters Club“.
• Als einer der ersten Vereine in der Bundesrepublik (nach Köln, Schalke und St.Pauli) hat der FC Carl Zeiss Jena e.V. bereits vor Jahren so genannte Anti-Rassismus-Paragraphen in Vereinssatzung und Stadionordnung aufgenommen und die Integration ausländischer Mitbürger zum erklärten satzungsmäßigem Vereinszweck gemacht.
• Die aktive Fanszene des FC Carl Zeiss Jena e.V. und insbesondere die Ultra-Gruppierungen, sind bekannt für ihr antifaschistisches und antirassistisches Engagement inner- und außerhalb des Stadions. Hierfür steht neben der regelmäßigen Beteiligung an Protesten gegen Neonazi-Aktivitäten vor allem auch die Beteiligung an der Antirassistischen Fußball-WM in Montecchio/Italien.

Aber: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.

FC Carl Zeiss Jena

Fanprojekt Jena

SupportersClub

1 Stefan Otto in „junge welt“ v. 10.04.2006
2 Vgl. „Thüringer Allgemeine“ v. 09.11.2006
3 Vgl. „Ostthüringer Zeitung“ v. 09.11.2006

Kassandra | link| Kat: FCC, Fussballfan-und-Forenadmin |

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